Wandern mit Gefühl
Outdoor
Echtes Wetter, pures Glück
Autor: Andrea C. Bayer
28. Oktober 2024
Weich sind die Pfade unter meinen Wanderfüßen. Der Blick streift über kniehohe Heidelbeerbüsche, gleitet über das vor mir liegende Tal hinweg, bleibt an der massiven Waldwand gegenüber hängen. Auch eine Nebelwolke hängt dort schon. Was für eine Stimmung!
Es ist dieser Moment, in dem ich mich so richtig in den Nördlichen Schwarzwald verliebe. Der Rucksack ist unter seiner neongelben Regenhülle versteckt, die Kapuze eng verschnürt. Tropfen um Tropfen rinnt von ihrem Schirm. Echtes Wetter gehört nunmal dazu und ich weiß nicht, ob es ohne diese starken Kontraste, die Wolken, Licht und Niederschläge zaubern, so schnell gegangen wäre mit meiner hoffnungslosen Verliebtheit.
Ich mag dieses intensive Erleben. Wenn ein Frühsommerregen die harzduftgeschwängerte Waldluft erfrischt und nasse Felsblöcke im durchbrechenden Sonnenschein zu glänzen beginnen. Wenn die Kapuzenperspektive den Fokus vom Weitblick auf das Detail am Wegesrand lenkt. Dann, wenn sich schwarz-gelbe Feuersalamander zuhauf aus ihren Verstecken winden und der heiße Kaffee in der Pausenhütte ähnlich große Glücksgefühle bewirkt wie das spätere Durchatmen im Blütendampfbad.
Wo Neugier den Weg weist
Es ist diese Mischung aus Anstrengung, Entspannung und Wohlfühlen, die mir weit über meine fünf Wandertage im Nördlichen Schwarzwald hinaus in Erinnerung bleiben wird. Da ist diese Herzlichkeit, wo immer ich einkehre. Da sind bestens ausgeschilderte Wege, die mir doch täglich viel abverlangen: Wieder und wieder revidiere ich meine Ursprungsplanung, biege nochmal ab, erkunde und lasse mich intuitiv von meiner Neugier leiten. So kommt es, dass an meinem letzten Wandertag (für diesmal) aus 15 Kilometern 29 und aus 550 geplanten Höhenmetern 900 werden.
Die Verliebtheit hat inzwischen voll zugeschlagen: Ich bin auf einer kleinen Runde durchs Bärlochkar spaziert und finde es einfach großartig, dass sich dieser Wald bei Enzklösterle seit 1997 unberührt von Menschenhand entwickeln darf. Ich bin im Tal der Lehmänner eingetaucht in eine weit zurückliegende Siedlungsgeschichte, die man optisch lediglich anhand der erhaltenen Erdkeller erahnen kann. Und ich habe mich vom Infozentrum Kaltenbronn aus auf die Spuren von Waldbewohnern wie Auerwild und Luchsen begeben. Bis hinauf zum Hohlohmoor, wo krümmliche Birken und Holzplankenwege mein Gefühl für einen Moment in meine schwedische Herzensheimat lenken.
Ist es nicht verrückt, was Landschaften und Stimmungen auslösen können? Immer wieder folgt nun diese Überlagerung: Der Kopf weiß, ich bin weit im Süden. Die natürlichen Pfade, auf denen ich stundenlang keiner Menschenseele begegne, schüren mein Nordgefühl – und eben diese Verliebtheit, die mich schließlich zu einer finalen Höchstleistung antreibt.
Auf zu den Teufelskammern
Ausgeguckt habe ich mir die „Große Runde über die Teufelsmühle”. 15 Kilometer ist diese als „traumtour” zertifizierte Wanderung lang. Sie verspricht naturbelassene Wege, steinige Pfade und höhlenartige Formationen am Wegesrand. Das klingt perfekt für diesen Sonnensamstag. Bereits kurz hinter Bad Herrenalb biege ich zum ersten Mal spontan ab. Zu verlockend ist der Bachlauf; üppig blühende Apfelbäume lassen mich die Kamera zücken. Bald schon werden die Wege steiler; es geht ordentlich bergauf. Jeder Schritt lohnt sich. An den Teufelskammern juchzt mein Kinderherz: Von klein an haben mich Felsen und Höhlen in ihren Bann gezogen. Die Waldschlucht, in der ich vorsichtig herumschleiche, entstand vor rund 200 Millionen Jahren. Als ich vor zwei Tagen auf dem Kaltenbronn im Hohlohmoor stand, weckte dessen Alter von 10.000 Jahren schon ein ehrfürchtiges Gefühl in mir. Wahnsinn, in welchen Dimensionen ich mich hier bewege!
An der Teufelsmühle ist es Zeit für mein Picknick. Ich schaue auf meine Wanderkarte und beschließe: Ich möchte den Tag auskosten und bis zu meiner Unterkunft in Rotensol zu Fuß gehen. Über den Westweg und hinüber nach Dobel, den höchsten Ort im Nördlichen Schwarzwald. Das Experiment glückt; mein Wanderkreis schließt sich, als ich ins Tal der Lehmänner komme, das ich am Vortag von Dobel herab durchwandert habe. 29 Kilometer in tiefer Verliebtheit, 900 Höhenmeter pures Glück – in einer Landschaft, die ihren Titel „Qualitätsregion Wanderbares Deutschland” zurecht mit Stolz und Würde trägt!
Mein Tipp: Gönn dir eine geführte Wanderung! Es macht riesigen Spaß, tiefer einzutauchen in die Natur und die Geschichte(n) der Region. Vieles sieht und erahnt man einfach nicht, wenn man auf eigene Faust loszieht.
Autorin Andrea C. Bayer ist gebürtige Schwäbin und im Norden zuhause. Sie liebt Landschaften mit starkem Charakter und die Ruhe im Draußen. Über ihre oft auch mehrtägigen Wanderungen schreibt sie in Outdoormagazinen und auf ihrem Blog kopffreitage.de.
Bilder & Text: Andrea C. Bayer