Faszination im Lichterglanz: Das Altensteiger Weihnachtsfackeln
Kultur
Eine jahrhundertealte Tradition
Autor: Ancia Kirr
15. Dezember 2023
In dem malerischen Städtchen Altensteig im oberen Nagoldtal wird Jahr für Jahr am Heiligen Abend eine Tradition lebendig, die nicht nur Einheimische, sondern auch Besucher aus Nah und Fern in ihren Bann zieht: Das Altensteiger Weihnachtsfackeln. Dieser historische Brauch, der auf eine mögliche Wurzel in der keltischen Kultur vor fast 3000 Jahren zurückgeht, verwandelt die Stadt in ein faszinierendes Lichtermeer.
Das Ritual des Fackelns
Am Morgen des Heiligen Abends errichten die Fackler riesige Holzstöße, die mit viel Erfahrung und Sachverstand aufgesetzt werden, um so lange wie möglich im lebendigen Feuer zu stehen und ihren hellen Schein über das Nagoldtal zu verbreiten. Die Fackler rüsten sich mit selbstgebauten Riesenfackeln, die aus geschlitztem Spreißenholz zu beeindruckenden 5 Meter langen Bündeln zusammengeschnürt werden, aus.
Nach dem festlichen Gottesdienst erfolgt der magische Moment: Das Glockenläuten um 18.00 Uhr läutet das Entzünden der Holzstöße ein. Sobald die Feuer lodern, entzünden die Fackler die traditionellen „Fackeln“, die in einem imposanten Lichtermeer über den steilen Hangwiesen schwenken. Immer mehr Wachsfackeln werden entzündet, bis die gesamte Szenerie in weihnachtliches Licht getaucht ist.
Die Ursprünge des Altensteiger Weihnachtsfackelns
Die Wurzeln des Brauchs reichen bis zu den heidnischen Kelten zurück, die mit dem Feuer die Wintersonnwende feierten. Diese keltische Tradition symbolisierte das Erwachen der Natur nach der Winterstarre und die Sicherung der Fruchtbarkeit der Felder. Historiker wie Alfred Weinauer betonen, dass die Menschen und Häuser, die vom Schein des Feuers getroffen wurden, im kommenden Jahr vor Krankheit, Unglück und sogar Feuersgefahr geschützt sein sollten.
Mit dem Aufkommen des Christentums erhielt das Altensteiger Weihnachtsfackeln eine neue Bedeutung. Hoch über der Stadt, auf dem Hellesberg und dem Schloßberg, versammeln sich am Heiligen Abend Einheimische und Gäste, um die Geburt Christi sinnbildlich mit großen Feuern und Hunderten von Handfackeln zu feiern.
Schon im 20. Jahrhundert wurde über das weihnachtliche Fackeln geschrieben, und es ist die älteste schriftliche Nachricht von 1862 bekannt, die beschreibt, wie die Schuljugend mit brennenden Fackeln den Schlossberg hinan zieht.
Ursprünglich gab es drei Fackelplätze in Altensteig, die den verschiedenen Stadtteilen zugeordnet waren. Heute sind wegen Flurbereinigung und dem Ersten Weltkrieg nur noch die beiden Plätze auf dem Hellesberg und dem Schlossberg gültig.
Bilder: Stadt Altensteig
Die Rettung einer Jahrhunderte alten Tradition
Im späten Herbst des Jahres 1962 entdeckte Albert Schneider, der Betriebsleiter des E-Werks, bei seinem Morgenspaziergang einen Verlust auf dem städtischen Lagerplatz: Fünf prächtige, große Holzbohlen fehlten. Dieses Fehlen, mit einem Wert von 120,- DM, meldete er umgehend dem Bürgermeister von Altensteig, Friedrich Schleeh. Schleeh, in der Annahme von Diebstahl, aber auch von den Fackelbuben, beauftragte daraufhin die Landespolizei, die der Angelegenheit nachging.
Das Resultat der Ermittlungen war überraschend: Acht Buben hatten bei Dunkelheit den Zaun überwunden, das Holz entwendet, es geschlitzt und im Tälemer Fackelfeuer verbrannt. Die Polizei handelte wie üblich und leitete den Vorfall an die Staatsanwaltschaft in Tübingen weiter, die sofort Anklage wegen schweren Diebstahls erhob. Sowohl die Polizei als auch die Staatsanwaltschaft waren sich bewusst, dass ein Prozess folgen würde, nur der Bürgermeister von Altensteig ahnte nichts.
In mehreren Sitzungen des Gemeinderats wurde geprüft, ob der Fehler des Bürgermeisters wieder gutzumachen sei. Die jahrhundertealte Tradition des Fackelfeuers stand auf dem Spiel. Der Staatsanwalt zeigte jedoch keine Bereitschaft, das Verfahren einzustellen.
So kam es vor dem Jugendschöffengericht in Calw zu einem Prozess. Bürgermeister Schleeh und Betriebsleiter Schneider versuchten mehrmals zu betonen, dass es nicht so schlimm gewesen sei und sie lediglich die Namen der Beteiligten erfahren wollten. Als der Richter nach dem Grund des nächtlichen Diebstahls fragte, antwortete Schneider: „Bei uns stehlen die Buben das Fackelholz immer nur nachts.“ Der Richter reagierte mit einer sarkastischen Bemerkung: „Ach so, die Stadt ist also damit einverstanden, dass Holz fürs Fackelfeuer gestohlen wird, solange es nicht aus städtischem Besitz stammt.“ Statt zu antworten, senkte der Zeuge den Kopf. Der Richter fuhr fort: „Erst tun die Herren so gewaltig, nun versuchen sie alles ins Lächerliche zu ziehen. Entweder man akzeptiert, dass fürs Fackelfeuer Holz gestohlen wird, oder aber…“ An dieser Stelle unterbrach Bürgermeister Schleeh den Richter: „Wir werden das bestimmt auch nicht wieder tun.“ Der Richter sprach daraufhin die acht Buben frei.
Die Stadt erstattete den Eltern der Buben die 120,- DM zurück und übernahm auch die Anwaltskosten. Damit war eine jahrhundertealte Tradition gerettet.