historische persönlichkeit
Bericht einer Zeitzeugin
75365 Calw
An jenem 15. April 1945 fielen französische Truppen in die Stadt Calw ein. Es sollte ein Akt der Befreiung von der Nazi-Diktatur werden, wurde für die Calwerinnen indes zum Alptraum.
Drei Tage lang, so lauteten die Anweisungen, mussten alle Türen in der Stadt unverschlossen bleiben. Solange hatten die zumeist marokkanischen Kolonialsoldaten freien Zugang und das Recht, sich zu nehmen oder zu zerstören, was sie wollten. Hühner und Hasen waren nach den Worten der damals 13-jährigen Zeitzeugin Erika H. vorrangige Objekte der Begierde, sie wurden in den Häusern geschlachtet, zubereitet und gegessen. Auch Katzen haben die "Befreier" dabei angeblich nicht verschmäht. Die Soldaten stillten aber nicht nur ihren Hunger, sie stürzten sich auch auf die Frauen.
Die damals in der Nähe des Krankenhauses wohnhafte Erika H. blieb wohl unversehrt, musste aber zusehen, wie die Frauen ihrer Umgebung aufs Schlimmste missbraucht und vergewaltigt wurden. Sie berichtet beispielsweise von sechs Soldaten, die sich Zugang zu dem Haus verschafften, in dem sie damals mit ihren Eltern sowie einer jungen Frau, deren Mann im Krieg war, lebte. Vier Männer nahmen der Frau ihr erst wenige Wochen altes Baby aus den Armen und zerrten sie in das Schlafzimmer. Der Vater von Erika H. versuchte, die Soldaten von ihrem grausigen Vorhaben abzuhalten, wurde jedoch, zusammen mit der restlichen Familie, aus dem Haus vertrieben. "Die Schreie aus dem Schlafzimmer vergesse ich nie", erklärt die heute 69-jährige Zeitzeugin. Im benachbarten Haus wurde eine damals 50-jährige Haushälterin vergewaltigt, ein paar Häuser weiter richteten die Männer ein damals 14-jähriges Mädchen so übel zu, dass es fast verblutete.
Hilfe erhielten die Frauen im Krankenhaus. Dort wurden sie medizinisch
versorgt und dort fanden auch unversehrt Gebliebene, wie Erika H.,
Unterschlupf und Verpflegung. Hier erfuhr sie erst das ganze Ausmaß der
Vergewaltigungszüge. Nicht nur die Frauen sämtlicher Häuser an der
Stuttgarter Straße wurden vergewaltigt, es gab in der ganzen Stadt wohl
kein Haus, in dem nicht mindestens eine Frau Opfer der Soldaten geworden
ist. Erika H. weiß, dass das Thema bis heute nicht aufgearbeitet worden
ist: "Man hat darüber nicht gesprochen."